12 März 2012

Der Duff-Bericht (3): Für mehr europäische Öffentlichkeit

Am vergangenen Donnerstag hat das Europäische Parlament überraschend beschlossen, die für den 14. März geplante Plenardebatte zum Duff-Bericht über die Reform des Europawahlrechts von der Tagesordnung zu setzen. Damit ist nun unklar, ob überhaupt noch in dieser Legislaturperiode über den darin enthaltenen Vorschlag entschieden wird, das Parlament um 25 Abgeordnete zu erweitern, die auf gesamteuropäischen Listen gewählt werden sollen. Doch die Idee ist in der Welt und wird früher oder später auf die europäische Agenda zurückkehren. Was ist davon zu halten? Teil 3 einer Serie (zu Teil 1).

Nationale Sekundärwahlen

Europawahlkampf schwarz-rot-gold.
Wer vor der Europawahl 2009 durch Deutschland fuhr, dem bot sich eine eigentümliche Plakatlandschaft. Die Grünen (EGP) machten Wahlkampf gegen die Atomenergie, ungeachtet der Tatsache, dass die EU in dieser Frage gar nicht zuständig ist. Die SPD (SPE) warnte, nur Finanzhaie würden die FDP (ELDR) wählen – obwohl in der vorangegangenen Legislaturperiode die Sozialdemokraten im Europaparlament bei gut drei Vierteln aller Abstimmungen mit den Liberalen übereingestimmt hatten, öfter als mit jeder anderen Fraktion. Die CDU (EVP) warb mit dem Gesicht Angela Merkels und dem Spruch „Wir in Europa“, wobei das Personalpronomen in den deutschen Nationalfarben unterlegt war: Und falls irgendjemand diese Botschaft noch nicht verstanden hatte, stellte Generalsekretär Ronald Pofalla bei der Kampagnenvorstellung klar, dass es darum gehe, „Deutschland eine starke Stimme in Europa“ zu geben und „deutschen Positionen zur Mehrheit zu verhelfen“. Auch die FDP (ELDR) trat mit dem Slogan „Für Deutschland in Europa“ an – als könnte man sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel bei einem Land setzen statt bei einer Partei. Und wenig überraschend erklärte die CSU (EVP) unter einem Porträt von Ministerpräsident Horst Seehofer, nur wer sie wähle, verschaffe „Bayern eine eigene Stimme in Europa“.

Wer im Wahlkampf hingegen nicht auftauchte, waren die europäischen Spitzenpolitiker. Weder José Manuel Durão Barroso (PSD/EVP), der für seine Wiederwahl als Kommissionspräsident kandidierte, noch der damalige SPE-Vorsitzende Poul Nyrup Rasmussen, noch der liberale Fraktionschef Graham Watson (LibDem/ELDR), der angekündigt hatte, Präsident des Europaparlaments werden zu wollen, traten in der deutschen Öffentlichkeit auf, um ihre politischen Standpunkte zu vertreten. Entsprechend spielten europapolitische Themen im deutschen Wahlkampf 2009 so gut wie keine Rolle, und am Ende wurden die Wahlen zu dem, was sie seit geraumer Zeit in fast allen EU-Mitgliedstaaten sind: nationale Sekundärwahlen, ein Stimmungstest für die nationale Regierung und Opposition, bei dem sich die Medien herzlich wenig für das gesamteuropäische Endergebnis interessierten, sondern in erster Linie für die Prognosen, die sich daraus für die nächsten nationalen Parlamentswahlen ableiten ließen.

Vergebliches Streben nach europäischer Öffentlichkeit

Und warum auch nicht? Die nationale Fragmentierung der Europawahlen, mit festen Sitzkontingenten für jeden Mitgliedstaat und jeweils eigenen nationalen Wahlgesetzen, Listen und Spitzenkandidaten, ist kaum geeignet, eine europäische Öffentlichkeit herzustellen. Worum es bei den Europawahlen eigentlich geht, ist die Machtverteilung zwischen den großen europäischen Parteien im Europaparlament: zwischen der christdemokratischen EVP, der sozialdemokratischen SPE, der liberalen ELDR, der grünen EGP. Doch auf den Wahlzetteln stehen überall in Europa nur die Namen nationaler Parteien – und natürlich finden sich deshalb auch auf den Wahlplakaten nur diese wieder.

Dabei geben sich die großen europäischen Parteien durchaus Mühe damit, für die Europawahlen einen gesamteuropäischen Rahmen zu schaffen. So verabschiedete jede von ihnen vor der Wahl 2009 ein europaweites Wahlprogramm – für das sich allerdings die Medien kaum interessierten. Und weil seit dem Vertrag von Lissabon Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag verlangt, dass bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten das Ergebnis der Europawahlen „berücksichtigt“ wird, hat die SPE bereits ein parteiinternes Verfahren beschlossen, wie sie vor der nächsten Wahl 2014 einen gemeinsamen Spitzenkandidaten nominieren will. (Die EVP trat bereits 2009 mit der Ankündigung an, eine zweite Amtszeit für Durão Barroso zu unterstützen, allerdings erst nachdem sich auch der Europäische Rat dafür ausgesprochen hatte.) Aber wie wahlkampftauglich ist ein „gesamteuropäischer“ Spitzenkandidat, der am Ende doch nur in einem einzigen Mitgliedstaat auf dem Wahlzettel steht?

Transnationale Listen würden auch die Wahlbeteiligung steigern

Die Einführung transnationaler Listen, wie vom Duff-Plan vorgesehen, würde hier eine gravierende Änderung bringen. Sie würde bewirken, dass auf Wahlzetteln (und Wahlplakaten) auch die Namen der gesamteuropäischen Parteien erscheinen, und damit einer breiten Öffentlichkeit erstmals die wirklichen Akteure im Europäischen Parlament aufzeigen. Sie würde dazu führen, dass jede europäische Partei mit einem Spitzenkandidaten antritt, der europaweit in jedem Land gleichermaßen zur Wahl steht und entsprechend Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Und da diese gesamteuropäischen Spitzenkandidaten kaum mit nationalen Themen für sich werben könnten, würden vermutlich auch die europapolitischen Programme der Parteien endlich eine größere Bedeutung im Wahlkampf gewinnen.

Damit aber würden die Europawahlen aufhören, nur nationale Sekundärwahlen zu sein. Stattdessen gäbe es die Chance, in der Öffentlichkeit echte europapolitische Debatten zu führen; statt einem Testlauf für die nationalen Parteien könnten die Wahlen zu einer Gelegenheit werden, bei der die europäische Bevölkerung Richtungsentscheidungen für die weitere Entwicklung der EU trifft. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass das auch zu einer steigenden Wahlbeteiligung führen würde. Und das wiederum würde nicht nur dem Europaparlament nützen, das sich bei künftigen institutionellen Konflikten etwa mit der Kommission oder dem Rat darauf berufen könnte, eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung hinter sich zu haben – sondern auch der Demokratie insgesamt, weil dadurch endlich klare öffentliche Meinungen zu den wesentlichen Fragen der europäischen Politik erkennbar würden.

Aber womöglich ist gerade das der Grund, weshalb große Teile der europäischen Politiker die Neuerungen im Duff-Bericht ablehnen. Im nächsten Beitrag soll es um die Gegenargumente gehen, die in der Debatte darüber zu hören waren.

Der Duff-Bericht Überblick:
Teil 1: Auf zu einem neuen Europawahlrecht 
Update: Abstimmung verschoben
Teil 2: Warum transnationale Listen?
Teil 3: Für mehr europäische Öffentlichkeit
Teil 4: Was spricht eigentlich gegen die Wahlrechtsreform?

Bild: By alexandernortrup [CC-BY-NC-SA 2.0], via Flickr.

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