05 September 2012

Das Glühbirnenverbot, oder: Warum es wichtig ist, eine Opposition zu haben

Licht oder Dunkel: Demokratie lebt davon, Alternativen sichtbar zu machen.
Am vergangenen Samstag, dem 1. September 2012, trat die letzte Stufe des europaweiten Verbots herkömmlicher, energetisch ineffizienter Glühbirnen in Kraft. Es war begleitet von dem ein oder anderen Medienscherz, aber der ganz große Volksaufstand blieb aus. Das ist einerseits wenig überraschend, schließlich haben wir inzwischen mit der Eurokrise sehr viel größere Sorgen. Andererseits aber kontrastiert die Gleichgültigkeit in den letzten Tagen dann doch recht bemerkenswert mit der medialen Empörung, die vor drei Jahren herrschte, als das Glühbirnenverbot im Februar 2009 beschlossen wurde.

Während in den meisten europäischen Ländern das Thema schon damals kaum Nachrichtenwert besaß, überschlugen sich die Medien im deutschsprachigen Raum mit Horrorszenarien, die bei dem Umstieg auf das „kalte“ Energiesparlampenlicht drohten. Die FAZ berichtete von Glühbirnen-Hamsterkäufen („wobei in der Branche gemunkelt wird, dass der Handel selbst, angesichts großer Vorräte, das Thema lanciert hat, um von seinen hohen Beständen loszukommen“). Der Journalist Jochen Bittner warf in dem Europablog, das er damals für die Zeit schrieb, nur halb im Scherz die Frage auf, „[w]ie sich die Abschaffung des menschlicheren Edison-Lichtes auf die Anzahl der spontanen Axt-Morde auswirken wird“. Das österreichische Künstlerduo mumu kündigte an, künftig „im Untergrund“ traditionelle Glühbirnen herstellen und verbreiten zu wollen. Und natürlich war in zahllosen Internetforen und den Kommentarspalten der Online-Medien von der drohenden „EU-Diktatur“ und ähnlichem die Rede.

Wie kam es zu all der Aufregung?

Interessant an all diesem Aufruhr ist im Nachhinein vor allem die Frage, wie ein letztlich doch recht belangloses Thema wie dieses solche Aufregung schüren konnte. Manches daran mag Zufall gewesen sein: So werden umweltpolitische Debatten in Deutschland häufig eine Spur erregter geführt als in anderen Ländern; und dass die EU sich gerade mitten in der Ratifikationskrise des Vertrags von Lissabon befand, trug wohl auch nicht zu einer besonders sachlichen Diskussion bei.

Hinzu kam, dass einige Argumente der Glühbirnenverteidiger nicht von der Hand zu weisen waren: Tatsächlich enthält das Licht traditioneller Energiesparlampen einen erhöhten Blauanteil, was nicht nur „kalt“ aussieht, sondern auch potenziell gesundheitsschädlich ist. Dem hielten die Verbotsbefürworter schon damals entgegen, dass das Ende der Glühbirne Investitionen in die Entwicklung alternativer Leuchttechnologien befördern würde. Wie man inzwischen weiß, behielten sie damit offenbar Recht: Vor allem LEDs gelten inzwischen als vollkommen akzeptable Alternative.

Warum die EU Glühbirnen nicht besteuert

Ein anderer plausibler Einwand kritisierte, dass die EU überhaupt zu dem Mittel eines Verbots griff (bzw. zur Festlegung von Effizienz-Mindeststandards, die herkömmliche Glühbirnen nicht erfüllen konnten, was faktisch einem Verbot gleichkam). Wenn alternative Technologien energieeffizienter, haltbarer und letztlich billiger sind, sollten sie sich dann nicht von selbst auf dem Markt durchsetzen? Und wenn man den Gewohnheitstieren unter den Verbrauchern dabei etwas auf die Sprünge helfen wollte, wäre dann nicht die Einführung einer Glühbirnensteuer die schonendere Methode gewesen? Wer wie mumu in der Glühbirne vor allem „Liebe, Wohlwollen, Freude, Erregung“ sucht, hätte sie dann weiterhin kaufen können – der große Rest wäre freiwillig auf LED umgestiegen.

Doch dass die EU Glühbirnen nicht besteuerte, sondern verbat, lag natürlich an den skurrilen Kompetenzgrenzen, an die die europäische Ebene in allen fiskalischen Fragen immer wieder stößt. Während für Umweltfragen längst das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt (Vorschlag der Kommission, Mehrheit im Ministerrat, Mehrheit im Parlament), ist für die europaweite Vereinheitlichung von Steuern immer die Zustimmung sämtlicher nationalen Regierungen notwendig. Und selbst wenn keine einzige Regierung etwas speziell gegen eine Glühbirnensteuer einzuwenden gehabt hätte, hätte diese Vetomöglichkeit mit einiger Sicherheit dazu geführt, dass die Frage zum Druckmittel bei anderen, thematisch vielleicht überhaupt nicht damit verwandten Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten geworden wäre. Das eleganteste Mittel, den gesellschaftlichen Übergang zu energieeffizienten Lampen zu organisieren, scheiterte also an den fehlenden Besteuerungskompetenzen der EU.

Die Aufgaben einer Opposition

Doch die vernünftigen Argumente waren, wie sich an der seither eingekehrten Ruhe erkennen lässt, ohnehin nicht der wesentliche Grund für die vehemente Ablehnung, auf die das Glühbirnenverbot in Deutschland stieß. Vielmehr scheinen sie mir lediglich der Hintergrund für ein gewisses Unbehagen mit der Entscheidung gewesen zu sein – das sich nur deshalb zu irrationalen Höhen aufschwang, weil es kein politisches Ventil fand.

Dieses Ventil zu sein, ist in einem parlamentarischen System die Aufgabe der Opposition. Indem sie sich als Wahlalternative bereithält und Kritik am Regierungshandeln in den öffentlichen Raum trägt, kanalisiert und verarbeitet sie die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Wie rational sich diese Unzufriedenheit begründen lässt, ist dabei zunächst einmal nicht entscheidend: Vielmehr kommt es darauf an, dass Menschen, die von der Regierung enttäuscht sind, eine Alternative angeboten wird – sodass es dem Parlamentarismus gelingt, ganz unterschiedliche politische Ansichten in sich zu vereinen und die Legitimität des politischen Systems auch dann noch zu wahren, wenn einem Großteil der Bevölkerung das Handeln der Regierung nicht gefällt.

Wie der amerikanische Politikwissenschaftler Carroll Quigley einmal formulierte, liegt ein wesentliches Verdienst des Zweiparteiensystems der USA darin, dass die Bevölkerung bei jeder Wahl die Möglichkeit bekommt „to throw the rascals out“ („die Schurken rauszuwerfen“). Gerade dadurch, dass die Opposition bei politischen Entscheidungen in der Regel von den Regierungsparteien überstimmt wird, kann sie sich bei der nächsten Wahl als glaubwürdige Alternative präsentieren. Und umgekehrt bezieht natürlich auch die Regierung einen Teil ihrer Legitimität daraus, dass ihr Programm bei der letzten Wahl auf eine größere Zustimmung gestoßen ist als das Angebot der Opposition. Wie beliebt ein Vorschlag tatsächlich ist, zeigt sich erst, wenn er von einer Oppositionspartei öffentlich kritisiert wird – und die Mehrheit der Bevölkerung dennoch weiterhin die Regierung wählt.

Keine Opposition gegen das Glühbirnenverbot

Dem Glühbirnenverbot hätte deshalb kaum etwas Besseres passieren können als eine europäische Opposition, die die (rationale oder irrationale) Kritik daran aufgegriffen und in der öffentlichen Debatte repräsentiert hätte. Anstelle von Ängsten über eine drohende EU-Umweltdiktatur hätte dies den Austausch über Vor- und Nachteile der geplanten Maßnahme gefördert – und der Großteil der Menschen hätte vermutlich festgestellt, dass das Thema ihnen nicht so wichtig ist, dass sie ihr Verhalten bei der nächsten Europawahl davon abhängig machen würden.

Allein, so eine Opposition gab es nicht. In dem oben schon erwähnten Blogeintrag von Februar 2009 versuchte Jochen Bittner, die Verantwortlichkeiten für das Glühbirnenverbot zu klären. Dafür vollzog er nach, wer ihm bei jedem einzelnen Entscheidungsschritt zugestimmt hatte. Und obwohl ihm in seiner Rekonstruktion einige kleinere Fehler unterliefen (weshalb auch die Lektüre der Leserkommentare zu dem Artikel empfehlenswert ist), war sein Fazit vollkommen berechtigt:
Die generelle Verantwortung für das Glühbirnenverbot trägt eine große Koalition aus allen europäischen Regierungen, Fachleuten aus der EU-Kommission sowie des Europäischen Parlaments. Die spezielle Verantwortung dafür, dass es über das Verbot keine öffentliche Plenardebatte [im Europaparlament] gab, tragen vor allem die Sozialdemokraten, die Grünen und die Liberalen, plus – etwa zur Hälfte – die Konservativen. Welche Schlüsse sich daraus für die Stimmabgabe bei der Europawahl im Juni ziehen lassen, das muss nun jeder für sich beleuchten.
Die Schwächen der europäischen Konsenspolitik

Ich habe in diesem Blog schon vor einiger Zeit einen längeren Artikel darüber geschrieben, welche strukturellen Aspekte die parteipolitische Debatte im Europäischen Parlament behindern. Der Glühbirnenfall ist ein gutes Beispiel dafür, welche schädlichen Auswirkungen dieses Fehlen einer institutionalisierten Opposition besitzen kann.

Gerade weil im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fast alle politischen Akteure – Europäische Kommission, nationale Regierungen, Fraktionen des Europäischen Parlaments – dem Vorschlag irgendwann einmal zustimmten, bot das politische System der EU keine Möglichkeit, die schwelende Unzufriedenheit mit der Entscheidung demokratisch aufzufangen. Wer das Verbot ablehnte, der konnte sich nicht einfach vornehmen, bei der nächsten Wahl „die Schurken rauszuwerfen“, die es beschlossen hatten: denn es gab niemanden, der nicht zu diesen „Schurken“ gehörte. Der Ärger konnte sich deshalb nur noch in der medialen Empörung Bahn brechen – und in einer schleichenden, aber immer verbisseneren Verdrossenheit gegenüber allem, was aus Brüssel kommt.

Zur Demokratie gehört das Überstimmtwerden

Was bedeutet dies für die weitere Entwicklung der Europäischen Union? Bei dem Versuch, die EU demokratischer und bürgernäher zu machen, orientieren sich viele Europapolitiker bis heute an dem einfachen Leitbild, möglichst viele Organe im Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Konnte die Kommission in der Anfangsphase der europäischen Integration noch viele Entscheidungen ganz allein treffen, so mischten sich recht bald auch die nationalen Regierungen im Rat in allen wichtigen Angelegenheiten ein. Seit den 1980er Jahren wurden zudem die Mitspracherechte des Europäischen Parlaments schrittweise erhöht (dessen Abstimmungsregeln wiederum dazu führen, dass viele Entscheidungen nur mit großen, fraktionenübergreifenden Koalitionen möglich sind). Und seit einiger Zeit verbreitet sich zudem besonders in Deutschland die Vorstellung, dass eine demokratische Europapolitik eigentlich immer auch eine Mitsprache der nationalen Parlamente benötigt.

Doch dieses Bemühen nach immer mehr checks and balances macht die Europapolitik nicht nur schwerfällig. Auch auf die Legitimation der EU hat es zuletzt genau die entgegengesetzte Wirkung als gewünscht – denn wenn an jeder Entscheidung alle politischen Akteure beteiligt sind, verschwimmt nicht nur die politische Verantwortlichkeit, sondern auch die grundsätzliche Möglichkeit, alternative Politikentwürfe innerhalb desselben demokratischen Systems zu integrieren. Zur Demokratie gehört auch das Überstimmtwerden.

Damit die EU an Legitimität zurückgewinnt, muss es für politische Akteure einfacher werden, ihre Vorschläge (ob irrational oder nicht) in den Entscheidungsprozess einzubringen, ohne dass dabei immer gleich der Beschluss als Ganzes in Frage steht. Dies wiederum setzt voraus, dass Kompetenzen stärker gebündelt und Entscheidungsverfahren vereinfacht werden: Irgendjemand muss regieren können, damit ein anderer in der Opposition sein kann. Und das einzige europäische Organ, das tatsächlich geeignet ist, das Forum für ein solches Wechselspiel zwischen einer gewählten und abwählbaren Regierungsmehrheit und einer Opposition zu bieten, ist das Europäische Parlament.

Bild: By 1997 [GFDL 1.2], via Wikimedia Commons.

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