23 August 2013

Die Bundestagswahl und Europa (7): Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende

Bei der Bundestagswahl im kommenden September wählen die Deutschen nicht nur ihre nationalen Abgeordneten, sondern auch ihre Vertreter in den intergouvernementalen EU-Organen. Welche Alternativen stehen dabei zur Auswahl? In einer Sommerserie vergleicht dieses Blog die europapolitischen Vorschläge in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – CDU/CSU (EVP), SPD (SPE), FDP (ALDE), Grüne (EGP) und Linke (EL). Heute: Klima und Energie. (Zum Anfang der Serie.)

Europäische Klimaziele

Der Ausbau erneuerbarer Energien soll die EU ihren Klimazielen näher bringen.
Ein Musterbeispiel für ein politisches Problem, das nur noch auf überstaatlicher Ebene gelöst werden kann werden, ist der Klimaschutz. In kaum einem anderen Bereich hat die EU ihre Aktivitäten in den letzten fünfzehn Jahren so stark erweitert: 1996 setzte sich der Ministerrat erstmals eine Begrenzung der Erderwärmung zum Ziel. 2000 präsentierte die Europäische Kommission erstmals ein Klimaschutzprogramm zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls. 2005 trat das EU-Emissionshandelssystem in Kraft. Und seit 2010 ist mit Connie Hedegaard (KF/EVP) ein Mitglied der Europäischen Kommission eigens für Klimaschutz zuständig.

2008 formulierte die EU zudem die sogenannten 20-20-20-Ziele, die sie mit ihrer Klimapolitik in den nächsten Jahren erreichen will. Im Einzelnen sollen in der EU bis 2020
● die CO2-Emissionen um 20 Prozent niedriger sein als im Jahr 1990,
● die Energieeffizienz um 20 Prozent erhöht werden,
● die erneuerbaren Energien 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs ausmachen.

Allerdings mehren sich in letzter Zeit die Stimmen, die diese Werte für zu wenig ambitioniert halten. Schon 2011 schlug die Kommission deshalb einen neuen „Klimaschutz-Fahrplan“ vor, der vorsieht, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 25%, bis 2030 um 40%, bis 2040 um 60% und bis 2050 um 80% zu senken.

Diese Vorschläge, die derzeit zwischen den EU-Institutionen diskutiert werden, finden in Deutschland durchaus Anklang – jedenfalls bei den Parteien, die sich in ihren Wahlprogrammen überhaupt dazu äußern. CDU/CSU, SPD und Grüne würden gern sogar noch weiter gehen und die europaweiten CO2-Emissionen bis 2020 um 30% verringern; die Grünen sogar um 45% bis 2030. Außerdem sind alle drei Parteien dafür, dass Deutschland („als Hochtechnologieland“ mit „größeren technischen Möglichkeiten“, wie die CDU/CSU formuliert) dabei mit einem größeren Beitrag vorangehen soll. Als nationale Marke nennt die CDU/CSU 40% bis 2020, die SPD setzt die Zeitreihe mit 60% bis 2030 und „mindestens 80 Prozent bis 2040“ fort. Grundsätzlich herrscht hier also große Einigkeit. Nur FDP und Linke erwähnen in ihren Programmen keine neuen Klimaziele.

Emissionshandel

Als wichtigstes Instrument, um den CO2-Ausstoß zu senken, gilt den meisten Parteien nach wie vor das europäische Emissionshandelssystem. Allerdings krankte dieses in den letzten Jahren an einigen Schwierigkeiten: Seit 2008 stürzte der Preis für die Emissionsrechte nämlich von fast 30 auf unter 5 Euro pro Tonne ab, sodass Unternehmen inzwischen kaum noch Anreize haben, in die Vermeidung von CO2 zu investieren. Ursache dafür war vor allem, dass während der Eurokrise die europäische Industrie schrumpfte und damit auch der CO2-Ausstoß zurückging. Allerdings ist schon jetzt klar, dass diese Entwicklung nicht dauerhaft sein wird: Wenn die Konjunktur wieder anzieht, werden ohne Klimaschutz-Investitionen auch die Emissionen wieder steigen.

In den vergangenen Monaten wurde deshalb heftig über eine Reform des europäischen Emissionshandels diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei das sogenannte „Backloading“, durch das die Emissionsrechte vorübergehend verknappt und erst nach der Eurokrise wieder ausgeweitet werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag der Kommission wurde vom Europäischen Parlament im April 2013 erst knapp abgelehnt, dann im Juli 2013 doch noch angenommen. Die deutsche Bundesregierung ihrerseits war über diesen Vorschlag gespalten: Während sich Umweltminister Peter Altmaier (CDU/EVP) für das Backloading aussprach, war Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP/ALDE) dagegen. Die endgültige Entscheidung steht noch aus.

In ihren Wahlprogrammen unterstützen alle deutschen Parteien eine Reform des europäischen Emissionshandels. Allerdings legen sich dabei weder CDU/CSU noch SPD fest, welche Maßnahmen sie dafür anstreben. Konkreter sind die Grünen, die „eine Verknappung der Verschmutzungsrechte, höhere Standards und einen Mindestpreis für CO2“ vorschlagen. Bis darüber eine gesamteuropäische Einigung erzielt wird, soll dieser Mindestpreis wenigstens auf nationaler Ebene verankert werden. Die FDP wiederum betont, dass sie auf den Emissionshandel „hohes Gewicht“ legt und diesen auf keinen Fall durch eine CO2-Steuer ersetzen will (was allerdings auch keine andere Partei vorschlägt). Zudem will sie das Handelssystem auf „den gesamten Verkehrs- und Wärmesektor“, einschließlich den Luftverkehr, ausweiten sowie „intensivere Verhandlungen“ führen, „um den EU-Emissionshandel mit bestehenden und geplanten Handelssystemen zum Beispiel in Nordamerika, Korea und Australien zu vernetzen“.

Am unklarsten äußert sich in dieser Frage die Linke. Diese findet die bisherige Bilanz des Emissionshandels „verheerend“ und will „stattdessen ein Kohleausstiegsgesetz durchsetzen, das ein Verbot für den Neubau von Kohlekraftwerken und für den Neuaufschluss von Braunkohletagebauen vorsieht“. Ob dieses Verbot europaweit oder nur national gelten soll, lässt die Partei jedoch offen. An einer anderen Stelle des Programms schlägt die Partei außerdem vor, „[u]nberechtige Industrierabatte“ im Emissionshandel abzuschaffen – was zumindest dafür spricht, dass auch die Linke das System wenigstens nicht ganz aufgeben will.

Energieeffizienz: Top-Runner-Ansatz

Für das zweite der drei 20-20-20-Ziele, die Steigerung der Energieeffizienz, spielt vor allem die EU-Ökodesign-Richtlinie eine wichtige Rolle, in der für mehrere energierelevante Produktgruppen bestimmte Verbrauchsstandards festgelegt sind. Durch eine schrittweise Verschärfung dieser Standards sollen nach und nach Produkte mit höherem Energieverbrauch vom Markt gedrängt und durch effizientere Geräte ersetzt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist das (seinerzeit heftig umstrittene) Glühbirnenverbot, das 2009 beschlossen wurde und 2012 in Kraft trat.

Damit dieser Mechanismus dauerhaft Anreize zu einer weiteren Effizienzsteigerung setzt, müssen die Verbrauchsstandards allerdings regelmäßig verschärft werden. Bislang erfolgt dies etwa alle drei bis sechs Jahre durch eine Revision der entsprechenden Durchführungsverordnungen. Das genaue Verfahren dafür ist allerdings recht aufwendig und lässt bislang auch noch einigen Spielraum für politisch motivierte Ausnahmeklauseln. SPD, Grüne und Linke setzen sich in ihren Wahlprogrammen deshalb für die Einführung einer sogenannten „Top-Runner-Regelung“ ein, wie sie derzeit zum Beispiel in Japan existiert. Dabei soll für jedes Produkt der jeweils höchste Effizienzgrad, der von irgendeinem Unternehmen erreicht wird, nach einer bestimmten Frist automatisch zum allgemeinverbindlichen Standard werden. CDU/CSU und FDP äußern sich zu diesem Vorschlag nicht.

Darüber hinaus machen Grüne und Linke noch konkrete Vorschläge für die Verbrauchsvorgaben von Neuwagen: Diese sollen bis 2025 nur noch maximal 60 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen (was etwa einen Verbrauch von zwei Litern entspricht). Auch hierzu findet sich in den Wahlprogrammen der übrigen Parteien nichts.

Erneuerbare Energien

Am schwierigsten auf europäischer Ebene umzusetzen dürfte das dritte der 20-20-20-Ziele sein: die Ausweitung der erneuerbaren Energien auf 20% des Gesamtverbrauchs. Nach Art. 192 AEU-Vertrag können nämlich „Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen […] erheblich berühren“, nur einstimmig beschlossen werden. Ein europaweites Verbot fossiler oder nuklearer Energie hat deshalb nur wenig Erfolgsaussichten, da es in jedem Fall auf das Veto irgendeiner Regierung stoßen würde. Allerdings ermöglicht Art. 194 AEU-Vertrag immerhin, positive Anreize bei der „Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen“ zu setzen. Außerdem kann die EU Maßnahmen zu einer besseren Verknüpfung der Energienetze durchführen. Dies würde die Versorgungssicherheit erhöhen und damit eines der Probleme erneuerbarer Energien, die größeren Schwankungen bei der Produktion, ausgleichen.

Wenig überraschend sprechen sich alle deutschen Parteien (bis auf die Linke, die sich zu diesem Thema nicht äußert) dafür aus, genau diese Ziele anzugehen. Am zurückhaltendsten ist hierbei die CDU/CSU, die sich „für einen europäischen Energie-Binnenmarkt“ ausspricht und dazu „genügend und vor allem leistungsfähige Grenzkuppelstellen zwischen den einzelnen Ländern“ fordert. Fast wortgleich ist auch die SPD für „mehr grenzüberschreitende Kuppelstellen, um ein leistungsfähiges europäisches Stromnetz zu schaffen“. Darüber hinaus setzen sich die Sozialdemokraten dafür ein, „europäische Speichermöglichkeiten, etwa Wasserspeicher in Skandinavien und den Alpen“ zu fördern.

Die FDP wiederum fordert einen „garantierten Mindestanteil Erneuerbarer Energien im gesamten Binnenmarkt“, was sie durch die „Einführung eines europäischen Fördermodells“ erreichen will. (Wie das genau aussehen soll, beschreibt ein Beschluss des Parteipräsidiums von 2012.) Außerdem unterstützt die FDP das Desertec-Projekt, mit dem die EU große Mengen Solar- und Windenergie aus Nordafrika importieren will. Die umfangreichsten Pläne zur Förderung erneuerbarer Energien haben schließlich die Grünen, die gleich mit einem neuen Vertrag eine eigene „Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien (ERENE)“ gründen wollen. Diese soll „Finanzierungsinstrumente zum Aufbau einer schlagkräftigen Erneuerbare-Energien-Industrie“ bieten und eine „wettbewerbsfähige Solarindustrie als industriellen Schwerpunkt in der EU“ etablieren. Durch „umfassende europäische Investitionen zur energetischen Nutzung von Sonne und Wind“ sollen besonders die „von der Eurokrise stark betroffenen südeuropäischen Regionen“ profitieren. Außerdem sollen auch die Nachbarstaaten der EU, vor allem die Beitrittskandidaten, besser in die gemeinsame Energiepolitik eingebunden werden.

Atomenergie

Bemerkenswert wenig haben die meisten Parteien bei der ersten Bundestagswahl nach dem Fukushima-Unglück übrigens zur Kernenergie zu sagen. Dies dürfte daran liegen, dass der Atomausstieg in Deutschland beschlossene Sache ist, während er europaweit wegen der erwähnten nationalen Vetorechte auf absehbare Zeit kaum durchzusetzen sein wird. Allerdings erlaubt der Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) in Art. 30, per Mehrheitsbeschluss Mindeststandards für den Gesundheitsschutz festzulegen – was, wie eine Richtlinie von 2009 verdeutlicht, recht weit auszulegen ist. Im Juni 2013 schlug der EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU/EVP) deshalb die Einführung verpflichtender regelmäßiger Stresstests für europäische Kernkraftwerke vor. Dieser Forderung schließt sich die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm an.

Auch hier sind es allerdings die Grünen, die die weitestgehenden Wünsche äußern. Ohne näher auf die beschränkten Kompetenzen der EU in diesem Bereich einzugehen, fordert die Partei nicht nur für alle europäischen Kernkraftwerke „verbindliche Sicherheitsstandards auf dem Stand von Wissenschaft und Technik“, sondern will sich darüber hinaus auch „für einen EU-weiten Atomausstieg einsetzen“. Den Euratom-Vertrag würden die Grünen am liebsten ganz abschaffen – oder, solange es dafür „keine Mehrheit“ gibt, wenigstens in den EU-Vertrag integrieren, damit künftig das Europäische Parlament bei Entscheidungen der Euratom ein Mitspracherecht bekommt. Auch die europäische Finanzierung des internationalen Kernfusions-Forschungsreaktors ITER wollen die Grünen beenden.

Fazit

Europäischer Klimaschutz und Energiewende nehmen für alle deutschen Parteien einen recht hohen Stellenwert ein, wobei die Grünen in der Regel die weitestgehenden und detailliertesten Vorschläge machen. Einigkeit besteht zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen darüber, dass die CO2-Ziele verschärft werden sollten, wofür alle Parteien eine Wiederbelebung des Emissionshandelssystems fordern – mit teils mehr, teils weniger konkreten Plänen. Bei der Energieeffizienz setzen die drei Oppositionsparteien auf einen Top-Runner-Ansatz, durch den die jeweils höchsten technischen Standards nach einer bestimmten Frist allgemeinverbindlich werden sollen. Bei der Förderung erneuerbarer Energien kommen die entschlossensten Vorschläge von der FDP, die europaweite Mindestquoten einführen will, und von den Grünen, die sich für umfassende europäische Investitionen in die Wind- und Solarindustrie einsetzen.

Die Bundestagswahl und Europa – Überblick:

1: Warum wir im nationalen Wahlkampf über Europa reden müssen
2: Haushaltskontrolle, Steuerharmonisierung, Kampf gegen Steuerflucht
3: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds, Staateninsolvenz
4: Wachstum, Beschäftigung, Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte
5: Soziale Mindeststandards, Mitbestimmung, öffentliche Daseinsvorsorge
6: Finanzmarktregulierung, Ratingagenturen, Bankenunion
7: Klimaziele, Emissionshandel, Energiewende
8: Agrarpolitik, Lebensmittelsicherheit, Umwelt
9: Netzpolitik, Datenschutz, Urheberrecht
10: Gemeinsame Außenpolitik, Rüstungskoordinierung, EU-Armee
11: Entwicklungspolitik, Transatlantische Freihandelszone, Beziehungen zu anderen Staaten
12: Migration, Schengen-Raum, Asylpolitik
13: EU-Konvent, Demokratie, Erweiterung

Bild: By Dirk Ingo Franke (Own work) [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons.

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